Skidurchquerung Korsika 1969
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Von Theo Hilz

Korsika, die kleine Insel im Mittelmeer, steht als Synonym für Meer, Sonne und Bergsteigen, ich kenne kein anderes Ziel, wo sich die beiden letzteren Begriffe auf idealere Weise verbinden lassen als hier. Wir aber wollten im Winter dorthin, warum? Unser Oberabenteurer Uli Schum hatte herausgefunden, dass die Skidurchquerung in N-S, Richtung noch auf ihre Bezwinger wartet und hatte deswegen mit Michel Fabrikant Verbindung aufgenommen, dem damals einzigen Gebietskenner, der eine nach seinem Dafürhalten mögliche Route ausgearbeitet hatte, sie entsprach im wesentlichen dem heutigen Verlauf des GR20. Genau drei Tage nach Heiligabend 1969 setzten Uli Schum, Willi Huber und ich unseren Fuß auf korsischen Boden, wir wollten es probieren. Da wir mit dem Flugzeug von Nizza gekommen waren, blieb uns nur das teure Taxi, um den Ausgangspunkt Conca im Süden zu erreichen. Ein Stop in Vizzavona war nötig, um einen Teil der Lebensmittel und die Ski dort zu deponieren. Wir hatten damals nicht einmal Zelte dabei, also war Biwak unter freiem Himmel angesagt. Bereits auf der ersten Etappe erwartete uns ein besonderes Zuckerl: Waldbrände gehören in Korsika leider zum Alltag, und unsere Route führte mitten durch so ein Gebiet. Die verkohlten Stämme hatte zudem noch ein Sturm durcheinander gewirbelt, einem Mikadospiel vergleichbar. Entweder oben drüber oder unten durch, mit dem Rucksack auf dem Rücken die reine Freude. Fast sechs Stunden Zeitverlust, schwarz wie die Kohlenbrenner und nach verbranntem Harz stinkend war das Resultat. Bis Sylvester ging alles ganz reibungslos, wir hatten unsere geplanten Etappen einhalten können und standen nun unter dem Gipfelaufbau der Incudine 2136m auf einer Hochfläche, die im Sommer als Weide genützt wird. Hirten hatten Schafpferche aus Stein aufgeschlichtet sog. "Bies", ca. 180cm hoch und einem Durchmesser von etwa 3m. Einen davon erkoren wir als Behausung und verstopften die Ritzen mit Schnee, als Dach diente unser Biwaksack, als Schlafunterlage Reisig, eigentlich ganz gemütlich. Als wir uns nach Sonnenuntergang darin verkrochen standen die Sterne noch am Himmel. Es ist erst gegen 20 Uhr, als die Hölle losbricht, Sturm und Schnee, die feinen Kristalle dringen durch die kleinsten Ritzen, es dauert nicht lange, und die Schlafsäcke sind mit Schnee bedeckt. Um 23 Uhr wird Tee gekocht und zur Feier des Tages (Sylvester) mit Cognac verdünnt - "Ein gutes neues Jahr !!". Ein kurzes Schläfchen von nur 3 Stunden, dann ist uns klar, unsere Lage hier ist aussichtslos, also abhauen. Wir packen in aller Eile unsere Siebensachen, dann nichts wie weg. Ein Horrortrip, eine Verständigung ist wegen des Sturmes nicht möglich, alle Augenblicke fällt einer in die in Korsika allgegenwärtigen Dornen, ein kurzer Aufschrei, auch nachdem wieder einer in einem der vielen Bergbäche Wasser geschöpft hat, die wir queren müssen, übrigens Taschenlampen leuchten auch unter Wasser. Nach zehnstündiger "Hatscherei" begegnen wir den ersten Menschen "bonné année", uns wird bewusst, heute ist ja Neujahr. Abends in der Herberge, welch herrliches Gefühl, nach 5 Tagen wieder einmal gewaschen. Die Schlafsäcke kamen zum Trocknen an die Garderobenleiste, das wurden sie nicht, nur länger, in meinem hätte ein Zweimetermann spielend Platz. Wie geht's nun weiter? Bezogen auf die Durchquerung gar nicht mehr, wir mussten bekennen, dass unsere Vorstellung darüber falsch war, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Das Hauptgericht war also versalzen, aber als Nachspeise wenigstens eine Wintererstbesteigung. Da ein Teil des Gepäckes sowieso am Col de Vizzavona lagerte, drängte sich ein Ziel mit diesem Ausgangspunkt auf. Bereits zwei Tage später zogen wir unsere Spur durch frischverschneiten Wald nach oben. In etwa 1400m Höhe lag eine Wellblechbahn, wie kam die wohl hierher? Uns diente sie als Dach für eine Schneehöhle. Die ganze Nacht hatte es geschneit, doch jetzt am Morgen scheint es besser zu werden. Zum Col Muratello schinden wir uns gehörig, doch als Lohn hebt sich nun die Wolkendecke, die hohen Berge Korsikas ragen aus dem Wolkenmeer. Mit Steigeisen gehen wir nun den langen Grat zum Gipfel. Der Schnee hat aus Schneekristallen wunderschöne Gebilde gestaltet, wie Federn, wir bemühen uns, diese Kunstwerke der Natur nicht zu zertreten. Gipfelglück am Monte Muratello 2100m zu dreien, die Durchquerung ist uns zwar nicht geglückt, aber einen Gipfel über 2000m das erste Mal im Winter geschafft ist doch auch etwas und wir kommen im nächsten Jahr wieder, wir wissen auch schon wie.
Am 21. Januar 1969 verlässt ein vollbeladener VW-Bus München, Ausrüstung, einige Zentner Lebensmittel und sechs Waxensteiner haben gerade Platz. Hinzu gekommen sind ein "Marschierer" Helmut Fischer, sowie Willi Dankesreiter und Hans Lettmair als Versorgungsmannschaft. Der Plan war folgender: Unsere Marschrichtung ist Süd-Nord, in Ost-West-Richtung gibt es einige Straßenverbindungen, an diesen Schnittpunkten (Col's) wollten wir unsere Freunde jeweils treffen, um neue Vorräte aufzunehmen. Am Ausgangspunkt im Süden, in Conca, biwakierten wir im letzten Jahr in einer zugigen Wartehalle, heuer steht uns ein Bus eingerichtet als Küche und Aufenthaltsraum und Zelte zur Verfügung, ein angenehmer Komfort. In den Rucksäcken ist zwar nur Proviant für 2-3 Tage, aber Zeltausrüstung, Kocher und übrige Ausrüstung, das Ding wiegt gut und gerne seine 27kg. Wenn ich Helmut so von hinten betrachte, sehe ich nur einen Sack mit zwei Füßen. Bis zu den "Bies" unter der Incudine ist uns der Weg vom Vorjahr bekannt, diesmal ist es erst Mittag und wir steigen über festgefrorenen Schnee zügig bergauf. Der Col Giralba ist nach fünf Stunden erreicht, doch was ist das? Uns stehen vor Schreck die Haare zu Berge, eine eisige spiegelblanke Glitzerwelt, soweit das Auge reicht, Schlittschuhe oder besser Steigeisen waren gefragt, aber keine Ski. "Seitrutschen", in der Skischule gelernt, erscheint uns hier als die einzige Möglichkeit, Tiefe zu gewinnen. Wehe dem, der stürzen sollte, er fände sich einige Hundert Meter tiefer, aber wie? Mit zitternden Knien und flauem Magen wagen wir den Start. In vorbildlicher Haltung, den "Talski" belastet und talwärts gebeugtem Oberkörper erreichen wir einen kleinen vorgelagerten Sporn, nur hier ist es möglich, unsere kleinen Hochtourenzelte aufzustellen. Als wir uns darin verkriechen, ist es schön, aber saukalt. Gegen vier Uhr morgens ist die Ruhe abrupt zu Ende, ein fürchterlicher Sturm rüttelt an unseren Zelten. Ein Blick ins Freie, sternenklarer Himmel, aber ein Heulen und Toben erfüllt die Nacht. Bis gegen acht Uhr hängen Helmut und ich an den Zeltstäben, hoffentlich fliegt es nicht davon; dann Gnade uns Gott. Es mag etwas nach 8 Uhr sein, als wir mit Hilfe der Kameraden unser unfreiwilliges Gefängnis verlassen können; unser Zelteingang war nach Osten gerichtet, das war heute falsch. Mit der bereits am Vortag geübten Technik geht es nun zügig abwärts, bis zur Waldgrenze. Gegen Mittag treffen wir die Freunde am vereinbarten Treffpunkt am Col de Verde. Hans Lettmair, für die Gaumenfreuden verantwortlich, verwöhnt uns heute mit Sauerbraten, dabei hatte er einen guten Griff in die Nelkentüte getan, so dass das Gericht fortan "Nelkenbraten" hieß. Frisch gestärkt, mit neuen Vorräten ausgestattet, erwartet uns heute eine lange Etappe. Um l0 Uhr ist der Col de Pruno erreicht, in weiteren 2 Stunden das erste gemeinsame Gipfelerlebnis, der Monte Torto 2105m ; die Pta. Orlandio 2250m wird überschritten, anschließend folgt ein herrlicher Grat, der zum Monte Renoso hinüberleitet. Die Täler sind in Wolken gehüllt, daraus erheben sich die wilden Gipfel Korsikas, vor uns glitzert es wie ein Spiegel, die Felsen sind etwa einen halben Meter dick vereist. Das bringt trotz der Schönheit Zeitverlust, denn um eine kurze Rinne zu meistern, müssen wir uns anseilen, in Eisarbeit hocharbeiten und das Gepäck nachholen. Endlich um 2 Uhr nachmittags stehen wir überglücklich und als erste im Winter auf dem 2357m hohen Renoso. Die mitgebrachte Gipfelkassette mit Buch wird auf einem Steinmann hinterlegt. Der Abstieg, erst leicht, führt noch über die Pta. Orientale 2170m, wird aber dann immer unübersichtlicher und verworrener, schließlich ist an einem senkrechten Abbruch unser Latein am Ende. Im Winter ist dieser Streckenabschnitt also ungangbar, ergo Abstieg in ein anderes Tal. Unser nächstes verabredete Ziel ist der Col de Vizzavona, von hier aber 30km entfernt, Uli und Willi versuchen von Ghisoni aus mit einem Leihwagen dorthin zu kommen, es klappt und einige Stunden später werden auch wir von den Freunden abgeholt. Die nächste Etappe zum Monte Muratello kennen wir bereits vom Vorjahr, doch auf dem Weiterweg zum Col Renosa heißt es wieder umdrehen, Nebel und Sturm machen ein Weiterkommen unmöglich. Bei Canaglia begegnen uns die ersten Menschen, die Antwort auf die Frage, wo wir herkommen, erzeugt Erstaunen, ja Fassungslosigkeit. Diesmal gestaltet sich das Erreichen des Treffpunktes viel schwieriger, Bahnfahrt mit dem "Feurigen Elias" nach Corte, dann Taxi zum Col de Vergio. Uns fehlt nun ein Stück der Durchquerung, wir beschließen diese Lücke in umgedrehter Richtung zu schließen. Es lässt sich auch ganz gut an aber unser Ziel, den Col Renosa, sehen wir zwar noch, aber dann fängt es wieder zu sauen an, also umkehren. Am nächsten Tag kämpfen wir in dichtem Schneetreiben und einer Sicht von fünf Metern einen aussichtslosen Kampf, zu Fuß, denn wir haben die Ski im Lager gelassen, bis jetzt haben wir sie selten gebraucht, aber jetzt! Sind wir eigentlich noch am richtigen Weg ? Das weiß keiner genau, also Zelte aufbauen und warten, der Magen knurrt, aber unsere Vorräte gehen zu Ende. Das heutige Abendessen besteht aus zwei Scheiben Knäckebrot und einer halben Dose Fisch. Das Thermometer sinkt auf unter minus 10°C , wir frieren trotz Daunenjacke. Unsere Liegematte ist ebenfalls mehr als dürftig, genau genommen trennen uns vom blanken Boden nur zwei Millimeter Gummi. Aus Gewichtsgründen haben wir kurze, in fünf Rippen geteilte Gummiluftmatratzen gekauft. Ihre Bewährungsprobe haben sie nicht bestanden, denn fast jeden Tag gibt eine Rippe den Geist auf. Hoffentlich wird das Wetter morgen besser, damit wir abhauen können. Bereits um ein Uhr früh brennen schon die Gaskocher, zum einen wird Tee gekocht, dann versuchen wir, über der Flamme unsere steifgefrorenen Schuhe aufzutauen. Helmut und Willi gehen bereits um halb sechs los, Uli und ich bauen die Zelte ab und folgen den anderen nach. Ihre Spur ist wirklich nicht zu übersehen, ein tiefer Graben im Schnee, bald haben wir sie eingeholt. Durch den Nebel kann man schemenhaft die Umrisse der benachbarten Berge ausmachen, sodass wir die Richtung halbwegs ausmachen können. Des öfteren geht einer zu Boden, mit dem "kleinen Rucksack" kam er alleine nicht mehr hoch. Mit vielen Flüchen beladen hätten wir alle eine Beichte nötig. Alles nimmt jedoch ein Ende und so sind wir mittags bei unseren Freunden. Sie hatten sich bereits große Sorgen um uns gemacht. Sie erzählten uns, dass ganz in der Nähe ein Chalet der Fremdenlegion steht, einige der Legionäre hatten sie besucht, um nach dem rechten zu sehen. Der ranghöchste von ihnen, ein Deutscher, sah unter unseren Vorräten einen Laib "Pfisterbrot", den nahm er an sich und erklärte: "Ihr könnt alles von uns haben, aber den kriegt ihr nicht wieder! " Als sie erfuhren, dass sie ja noch auf uns warteten, luden sie uns ein, nach unserer Rückkunft zu ihnen zu kommen. Das taten wir nun auch. Der Empfang war herzlich und als sie erfuhren, dass wir seit 2 Tagen nichts mehr gegessen hatten, trugen sie auf, aber wie. Hinter jedem stand einer, der den Teller immer wieder auffüllte, wir schaufelten und schaufelten, unmenschlich, was wir alles in uns hineinstopften. Unsere neuen Freunde hatten uns angeboten, nachdem wir am nächsten Tag das letzte Stück der Durchquerung versuchen wollten, die Nacht bei Ihnen zu verbringen. In der großen Stube trockneten indessen am offenen Kaminfeuer unsere nassen Sachen. Übrigens, Kaminanheizen auf Legionärsart geht so: Holz aufschlichten, ein Wasserglas Schnaps ca. 66% (steht im zehn Liter Ballon zum Trinken allzeit bereit) darüber schütten und ein brennendes Zündholz aus respektabler Entfernung darauf werfen - wumm - das Feuer brennt. Wir feierten Verbrüderung und tauschten Wimpel und Abzeichen aus. Der Alkohol löste die Zungen, so redete jeder in seiner Muttersprache, russisch, spanisch, englisch und deutsch, und verstanden uns prächtig. Um vier Uhr des nächstens Tages wollen wir versuchen, auch das letzte Stück der Durchquerung zu schaffen, der Frühstückstisch ist schon gedeckt, danach nehmen wir Abschied. Es bleibt jedoch beim Versuch, denn selbst mit den Skiern versinkt man bis zum Bauch im Schnee, das war's wohl. Heute, so wissen wir, geht eine Fähre zurück zum Festland, die wollen wir erreichen. Am Samstag den 2. Februar 69 hält unser Bus um 8 Uhr früh vor dem Haus Bruderhofstr. 39, hier wohnt Willi Huber. Eine Frau, die uns vier unrasierte Gestalten sah, sagte für sich: "so was greislichs". Bis auf ein kleines Stück haben wir als erste die Berge Korsikas im Winter von Süden nach Norden durchquert. Vier Freunde, einander auf Gedeih und Verderben ausgeliefert - eine harte Prüfung - aber mit Auszeichnung bestanden. Es erfüllt mich mit Freude und Stolz, bei diesem Unternehmen, das sicher in der alpinen Fachwelt kein allzu großes Aufsehen erregen wird, für mich aber einen Meilenstein in meinen Leben bedeutet, dabei gewesen zu sein. Dafür danke ich von ganzem Herzen meinen Freunden Uli Schum, Willi Huber, Helmut Fischer, Hans Lettmair und Willi Dankesreiter.

© Februar 2003 webmaster@ac-waxensteiner.de