Mount Kenya 5188m, Afrika - Ziel für Könner
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Von Theo Hilz

Unter den Bergen Afrikas verdient der Mt. Kenya mit 5199m als einer der wenigen auch diesen Namen, der leichteste Anstieg ist immerhin mit IV bewertet, und war im Januar 1973 das ersehnte Ziel für vier Waxensteiner und einigen Freunden. Von Nairobi aus gehen wir ohne ausreichende Akklimatisation unser Ziel sofort an, ein fast tödlicher Fehler, wie sich herausstellen sollte. Am Eingang zum Nationalpark drückte man uns ein Merkblatt in die Hand, in dem besonders auf das hier vermehrt auftretende Lungenödem hingewiesen wurde; "Betrifft uns doch nicht bei dem Vorbereitungstraining!" Träger schleppten unsere schwere Ausrüstung, "Sahib" folgt mit kleinem Gepäck und kann den Aufstieg voll genießen. Eine fremde wunderbare Welt; Berge, Nebelurwald, die Bäume tragen meterlange Flechtenbärte und Moospolster, kein Wunder, hier regnet es täglich. In ca. 4000m eine weite Hochfläche mit Lobelien und Senecien, Graspolster und dazwischen Schlamm. Hier liegt das Mackinder-Camp, ein Zeltlager mit einem wunderschönen Blick auf unser Ziel. Auf Mt. Blanc-Höhe steht die "Austrian Hut", die uns für einige Tage beherbergt. Die klettertechnischen Schwierigkeiten reduzieren unsere Mannschaft auf 2 Seilschaften, Helmut Fischer, Walter Lutz, Erwin Gräbner und ich, morgen soll es losgehen ! Der dringend nötige Schlaf wird nur ein aufgeregtes Schlummern, verständlich, die ungewohnte Höhe und die Nervosität. Um 3 Uhr früh blicke ich in fast unbekannte Gesichter, Helmut sieht blass aus, er fühlt sich miserabel und will bleiben, Walter geht es auch nicht besonders, aber er will es versuchen; lediglich Erwin lacht und macht Witze. Er ist ein Unikum, Lokomotivführer, mind. 100kg schwer, mit Wadln, deren Umfang manches zarte Wesen nicht einmal um die Taille mißt und der Kraft eines Gorillas. Frühstück ohne Esslust, aber es muss sein. Zu dritt also stolpern wir in die sternenklare kalte Nacht hinaus. Nach kurzer Zeit gibt Walter auf, so waren's nur noch zwei. Am Einstieg wird es hell, die Sonne spendet ihre ersten Strahlen und taucht die Felswand vor uns in ein rosa Licht. Ein kalter Wind bläst uns ins Gesicht und mit klammen Fingern beginnen wir zu klettern. Der Blick nach oben lässt uns zögern, finden wir die Route in diesem Felsgewirr? Doch es geht besser als wir hofften. Der Fels ist griffig und von jener Schwierigkeit, die wir leicht beherrschen. Dann die Schlüsselstelle, ein IVer; somit kein Problem, aber wer von uns ist schon einmal in dieser Höhe geklettert ? Ein Klimmzug, dann pumpen wir beide wie Maikäfer. Nun wirds wieder leichter, wie ein Uhrwerk spulen wir die restlichen Seillängen ab. Um 11 Uhr lege ich die letzte Selbstsicherung um einen Gipfelfelsen, geschafft! "Bergheil mein Freund". Hungrig schlingen wir etwas essbares hinunter, kurze Rast und träumen. Der isoliert stehende Berg gestattet Aussicht nur nach unten ins Tiefland. Das tägliche Schauspiel wiederholt sich auch heute, aus dem Urwald unter uns quellen dicke Wolkenberge, die rasch nach oben steigen und uns bald einhüllen. Wir rüsten zum Abstieg, hier gleichbedeutend mit Abseilen. Mitlerweile hat es zu schneien begonnen und macht das Ganze zu einer feuchten Angelegenheit. Es ist schon Nachmittag als wir die Hütten erreichen, unsere Freude wird allerdings gedämpft, als wir hören, das es Helmut sehr schlecht ging und Helmut Hamberger und Walter Lutz mit ihm ins Mackinder-Camp abgestiegen sind. Wir freuen uns nun auf etwas essbares und Ruhe, da aber stürzt ein junger englischer Bergkamerad atemlos zur Tür herein und übergibt uns wortlos einen Zettel von Walter Lutz. "Ihr müsst sofort ins Camp, Heli muß heute noch runter von hier und ins Krankenhaus, sonst stirbt er, Lungenödem!" Während unser engl. Freund einen Hilferuf nach unten funkt(da derartige Fälle hier häufig sind, steht dafür eine "Notrufsäule" bereit), packen wir in Windeseile unsere Sachen und rennen los. Im Camp herrscht helle Aufruhr, verständlich, was tun? Hier warten bis die Rettungsmannschaft eintrifft? Nein, sofort handeln; d.h. weiter hinunter. Wir blasen eine Luftmatratze bretthart auf und schnallen den Bewußtlosen mit Reepschnüren darauf fest. Hier in Äquatornähe gibt es keine Dämmerung, es ist bereits finster (20.30 Uhr), als sich unser seltsamer Zug in Bewegung setzt. Jeweils vier Mann tragen die kostbare Last eine kurze Strecke auf den Schultern, dann Wechsel. Auf ebenem Untergrund ginge das vielleicht ganz gut, aber hier, Inseln aus Grasbüscheln, dazwischen Morast. Anfangs versuchten wir noch, den Sumpflöchern auszuweichen, wir geben das bald auf. Helmut merkt von diesem ganzen Geschüttel fast nichts. Ein anderer englischer Bergkamerad gab ihm eine Spritze, die stark entwässernd wirkt, das machte sich bald bemerkbar. Obwohl er fast bewusstlos ist, will er nicht, wie wir ihm vorschlagen, in den Schlafsack pinkeln, also wieder abschnallen. Zum Glück finden wir Reste einer Holzbank, das Brett kommt uns gerade recht, es stabilisiert die weiche Unterlage etwas. Schweigend stolpern wir durch die Nacht, ich spüre weder die Kälte noch das kalte Wasser in meinen Schuhen, ein einziger Gedanke beschäftigt mich nur - was sage ich Isolde, seiner Frau wenn, ... ? Schritt, stolpern, ich gehe mechanisch, stundenlang. Endlich gegen 2 Uhr, Lichter kommen uns entgegen, Gott sei dank, die Rettungsmannschaft, insgesamt 57 Kenianer. Wir übergeben unsere "Traglast" an die schwarzen Freunde. Helmut Hamberger steigt mit ihnen ins Tal ab. Wir, der Rest, stolpern wieder zurück zum Camp. Mittlerweile ist es 4.30 Uhr, mein bisher längster Tag ist zu Ende, 25 Stunden bin ich nun auf den Füßen. Eine Mütze Schlaf, dann nichts wie weg hier. Für den Abstieg haben wir keine Träger mehr, so hat jeder nun mindestens 25kg auf dem Rücken. Es ist schon wieder finster, als wir unseren Jeep erreichen. Zurück in der Lodge berichtet uns Helmut Hamberger freude strahlend, dass es unserem Patienten gut gehe, gottlob; das war knapp. Zwei Tage später konnten wir ihn bereits wieder vom Krankenhaus abholen, er musste lediglich auf das nächste Ziel, den Kibo, verzichten.
Nachsatz: Zwanzig Jahr ist das nun her, wir hatten gottlob das Glück, aus dieser Sache zu lernen, denn unsere Unerfahrenheit hätte beinahe einen Freund gekostet. Seitdem haben Helmut und ich, mittlerweile alte Haudegen, manchen Fünf- und Sechstausender zusammen bezwungen.

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