Von Theo Hilz
Der Wunsch, die imaginäre Höhenmarke von 6000m zu überschreiten, führte Anneliese Hosmann, ihren Mann Sepp,
Helmut Hamberger, Helmut Fischer und mich nach Südamerika. Ende Mai flogen wir über den Teich, zuerst nach Lima.
Um den beinahe tödlichen Fehler von "Afrika 1973" nicht zu wiederholen, wollen wir uns diesmal ganz langsam an die
Berge herantasten und zuerst das Land kennenlernen. Eine Flugstunde von Lima entfernt liegt Cuzco, einst Zentrum
des legendären Inkareiches. Dort im Hotel angekommen wollte ich das Zahlenschloss meines Seesackes öffnen, aber
die Zahlenkombination war mir entfallen, zwei Tage wenig Schlaf und die ungewohnte Höhe von 3500m, verdammt war es
2, 3, 6 oder 3, 2, 8 oder ? Nach einer Stunde Schlaf arbeitete das Gehirn wieder halbwegs normal.
Cuzco ist der Ausgangspunkt für eine Bahnfahrt nach Machu Picchu. Meister der Taschendiebe schafften es doch, mir am Bahnhof
meine geliebte kleine Rollei vom Handgelenk zu klauen, Respekt!
Ich persönlich zähle Machu Picchu zu den Weltwundern, dieses Kleinod wurde erst 1917 wieder entdeckt. Genaues über
Sinn und Zweck weiß man bis heute nicht, ein geheimnisvoller Schleier liegt darüber. Die Lage hoch über dem Urubambatal
ist sicherlich einmalig, doch aber auch Anziehungspunkt für neugierige Massen. Durch einen kleinen Trick kann man den
Menschenauflauf umgehen, sehr früh aufstehen. Wir jedenfalls waren schon um sechs Uhr zu Fuß unterwegs, am Wegrand
blühen Usambara-Veilchen, Geranien und Begonien, um halb acht ist das Tor erreicht, die einmalige Anlage gehört uns
ganz allein. Die nächsten Tage ging es mit der Andenbahn zuerst über den 4323m hohen La Roya Pass nach Puno am
Titicacasee, der etwa in Großglockner höhe liegt. Durch den See verläuft die Grenze Peru/Bolivien, die wir nun im Bus
überschreiten. Die Plätze teilen sich etwa fünfzig Indios und fünf "Gringos". Alle 20 Km Polizeikontrolle, wir als
Fremde müssen Zielort und Beruf angeben. Unsere Anneliese ist Steuerberaterin, wir kennen dafür das spanische Wort
nicht, also wird sie einfach zur "Cocinera" : Köchin. Endlich ist La Paz, die Metropole Boliviens, erreicht. Eine
verrückte Stadt, etwa so groß wie München, nur "etwas" höher, der Flughafen liegt 4100m, die Stadt, in einem Kessel
gelegen zwischen 3500 und 3700m. Die Hauptstraße ist gesäumt von Hochhäusern mit mondänen Geschäften, davor Indios,
die Männer leider europäisch gekleidet, aber dafür mögen es die Frauen bunt. Mit fünf Unterröcken bekleidet, den
unvermeidlichen Bowlerhut auf dem Kopf und mindestens einem Säugling im Tragetuch sind sie unverwechselbar.
Das Klima ist brutal, bei mittäglichem Sonnenschein treffen die senkrechten Strahlen nur den Kopf, die Füße bleiben
kühl. Die Nächte sind bitterkalt, so daß Hambi im ungeheizten Hotelzimmer mit Daunenjacke und Mütze herumläuft,
letztere läßt er auch zum schlafen auf. Wasser ist ebenfalls Mangelware, die Klospülung geht erst ab sechs Uhr, wenn
man aber, wie wir, schon um fünf Uhr muss? Der Illimani 6462m wacht in makellosem Weiß über die Stadt. Ja nun ist es
soweit, auf zum Bergsteigen, also Vorräte kaufen und einen Kocher mit Brennstoff. Hier werden insbesondere von den
Indios nur Petroleumkocher verwendet, dieser ist überall erhältlich, aber das Kerosin dazu, da gibt es Engpässe.

Dazu schicken wir Anneliese, unsere Kleine, sie stellt sich brav in die lange Schlange der wartenden Indiofrauen,
eine von ihnen nimmt sie bei der Hand und bringt sie ganz nach vorne. Überhaupt bestimmt die Frau hier das Bild,
im Durchschnitt nur 1,50m groß, verteilen sie auf den vielen Indiomärkten Gemüse und Südfrüchte, die aus dem
fruchtbaren Tiefland hochgekarrt werden. Aber auch als Polizistinnen tun viele Dienst, sie gehen mir kaum zur
Schulter, aber in adretter Uniform mit umgeschnalltem Colt sind sie doch Respektspersönchen.
Als erstes Bergziel haben wir die Condoriri-Gruppe ausgesucht. Der gemietete Toyota Jeep steht am Ende der
Piste, der Rest ist Fußmarsch. Der Lagerplatz liegt in einer traumhaften Umgebung, Alpamayo Chico und Nevado
Condoriri sind die wildesten Gipfel, daneben eine Reihe leichterer Fünftausender, unser Ziel.
Zelte aufbauen bei minus 8-10 Grad, Wasserholen mit Eispickel, um den Kocher hüpfen wie das Rumpelstilzchen,
so kann man den Rest des Tages beschreiben. In den nächsten Tagen erobern wir nacheinander die Gipfel Cochilcono
5370m, Maurechata 5420m, Gestana 5350m. Abschied von diesem Paradies und Fahrt nach Milluni. Unsere Zelte stehen
an der "Laguna" in 4500m, daneben die Baracken der Zinnmine. Das Leben hier ist unvorstellbar karg
und entbehrungsreich. In der "Cantina" sitzen die "Mineros" mit der Mütze auf dem Kopf, wärmen sich die Hände
an der Kaffeetasse, in diese wird Brot getunkt, das ist alles. Von den Wänden rinnt Wasser und gefriert zu
glitzernden Eiskaskaden. Im Hof sehen wir einen Eber, der eine Sau begattet, besser gesagt "will", wir schauen eine Zeitlang zu,
aber nichts geschieht; die Frage an uns Männer drängt sich auf - "wie würden wir wohl in 4500m ......?
Die Laguna Zonga bereits 4700m hoch, hier bleibt unser Fahrzeug zurück, ist der Ausgangspunkt für den Huayna Potosi.
In 5400m, unter einem Gletscherbruch ist ein ebener Platz für das Hochlager. Bereits am nächsten Tag starten wir
einen Besteigungsversuch, aber das Wetter macht nicht mit, nach kurzer Zeit stehen wir im Nebel, es beginnt zu
schneien, also zurück ins Lager. In der Nacht fegt ein Schneesturm um die Zelte, am Morgen ist dieses um die
Hälfte kleiner, der Neuschnee, fast einen halben Meter hoch, hat es fast eingedrückt. Ein Paar Brocken zum Frühstück,
die Notdurft verrichten, ohne Spur versinkt diese im Pulverschnee, dann nichts wie weg hier.

Die nächsten fünf Tage widmen wir uns La Paz mit Umgebung und warten auf besseres Wetter. Als wir unseren
Lagerplatz das zweite Mal erreichen, hat sich der DAV dort bereits häuslich eingerichtet. Der Schnee ist
weggeschmolzen, die DAV'ler beschweren sich über die "Saubären", denn auf dem blanken Gletscher sieht man "Häuferl",
wir wissen von nichts! Am 16.06.76 Aufbruch zum Gipfel, die Gruppe des DAV unter Leitung von Manfred Sturm folgt
in kurzem Abstand. Anneliese und Hambi kehren bald um. Mir macht die Höhe keine Schwierigkeiten, ich genieße den
Aufstieg, es ist kalt, unter stahlblauem Himmel steht vor uns in greifbarer Nähe majestätisch unser Ziel. Der letzte
Gipfelhang hat etwa die Hö;he und Schwierigkeit der Fuscherkar-Nordwand.
Die ACW'ler erreichen als erste den Gipfel, "hurra geschafft"! Glückstrahlend fallen wir uns in die Arme,
unser Wunsch ist Wahrheit geworden, genau 80m stehen wir über unserer Traummarke.