Eine Wanderwoche in Pfunderer Bergen
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Von Peter Seebeck

Im Jahre 1981 war es, als ich mit meinem Schwiegervater Alex eine Wochentour durch die Pfunderer Berge unternahm. Mit Zelt und Kochgeschirr bepackt, waren wir nicht am "Gipfel Sammeln" interessiert, vielmehr wollten wir dort, wo sich die Natur am vielgestaltigsten und romantischten zeigte, unser Lager aufschlagen, um zu verweilen. Gegen Ende der erlebnisreichen Tagesetappen war es mein Plan, an den Seetalseen, sozusagen als krönender Abschluss, noch einmal unser Zelt aufzuschlagen. Als wir uns am frühen Nachmittag dieser Gegend näherten, veränderte sich der strahlend blaue Himmel unmerklich in ein diffuses Grau. Kein Windhauch regte sich und die Natur strahlte eine wohltuende Ruhe aus. Alles war beinahe feierlich still. Ein kurzer Besuch auf einer einsamen Hochalm, der Senner reichte uns gastfreundlich ein paar Schnäpse, war uns willkommene Zerstreuung auf unseren sonst so menschenleeren Pfaden. Der Weg führte uns nun weiter in die Senke des oberen Seetalsees. Die kargen Matten waren übersät mit Felsgestein. Die Wasserfläche zeigte sich dunkel und herb. Überhaupt hatte die Umgebung nichts Liebliches an sich, sie wirkte eher streng und nordisch. Die Silhouette der im Süden gelegenen Bergketten löste allmählich ihre Konturen auf und zerfloss in den Horizont. Selten hatte ich das Gefühl von solcher Abgeschiedenheit wie hier. Nach langem Suchen fanden wir endlich ein ebenes Plätzchen für unser Zelt, sehr beengt und direkt am Wasser. Instinktiv sehnten wir uns nach einem kleinen Lagerfeuer. Um Brennholz zu bekommen, stieg ich noch einmal 300 Höhenmeter ab und sammelte dürre Äste in der Krummholzzone, schnürte sie mit einer Reepschnur zu einem stattlichen Bündel und eilte wieder unserem Lager entgegen. Eine zu Tal strebende Familie musterte mich, den unrasierten, schwitzenden, dem im Filzhut die Baumflechten hingen, und ich hörte sie hinter mir reden "Kuck mal, so sieht ein richtiger Senner aus"! Bei Alex angekommen, machten wir sogleich Feuer, zuerst die kleinen Ästchen und dürren Nadelzweige, dann die größeren Hölzer, alles schon Routine. Trotzdem, diese archaische Tätigkeit weckte immer wieder tief in uns verborgene Instinkte. So saßen wir einträchtig nebeneinander, schlürften genüsslich unseren Spezial-Grog und empfanden tiefes Wohlbehagen. Die nackten geschundenen Füße wärmten wir am Feuer, erzählten uns Geschichten aus der Vergangenheit und unsere Blicke konnten sich dem magischen Züngeln der Flammen nicht entziehen. Es wurde Nacht, Nebel fiel ein, der Sichtkreis schmolz auf wenige Meter. Die Welt war klein wie nie und die matte Glut des glimmenden Feuers verlor den Kampf gegen das Dunkel der Nacht. Weit im Süden vernahmen wir dumpfes Donnergrollen. Kaum hatten wir uns in die Schlafsäcke gerollt, begann es schlagartig zu regnen. Das Trommeln der Regentropfen auf unser Zelt schwoll zu solcher Lautstärke an, dass wir uns beinahe schreiend verständigen mussten. Doch nun ging es erst richtig los: Das Unwetter näherte sich bedrohlich. Unaufhörlich durchzuckten Blitze die Nacht und in beängstigender Schnelligkeit folgten die Donner. In höchster Anspannung lagen wir regungslos und starr. Angst machte sich breit und peinigende Gedanken, wie: Ich liege direkt am Wasser .... vor kurzem stand in der Zeitung: "Menschen vom Blitz erschlagen" quälten mich. Das Gewitter war nun direkt im Felskessel über uns. Durch die Nähe des Geschehens hörten wir das Einschlagen der Blitze in die Felswand, als würde der Leibhaftige mit eisernen Klauen über das Gestein kratzen. Noch nie hörte ich solch animalische Geräusche. Dieses Inferno aus grellen Lichtblitzen, unerträglich lautem Krachen und Grollen, das sich durch das Echo noch steigerte, überlagert mit dem monotonen Prasseln des nichtendenwollenden Wolkenbruchs, dauerte mehrere Stunden. Ich gestehe im Nachhinein, dass es Momente gab, in denen ich mich dem nahen Tode ergeben, der irdischen Welt und meinen Lieben Lebewohl sagte. Auch Alex, mein guter Freund und Kamerad, leidgeprüfter Kriegsveteran des Rußlandfeldzuges, glaubte, sein letztes Stündlein habe geschlagen. Und in einer "Feuerpause" gelobte er der Heiligen Muttergottes, eine Kerze zu stiften, wenn alles gut ausgeht. Trotz dieses Hilferufes zu den himmlischen Mächten entglitt ihm kurze Zeit später ein überaus deftiger Fluch, weil das Unwetter immer noch nicht enden wollte. War es nun Zufall oder das Einsehen der Götter - oder beides - jedenfalls die Naturgewalten wichen zurück und erschöpft und erlöst sanken wir in einen Dämmerschlaf. Doch was ist nun wieder los? Ein berstendes Krachen und gleich darauf ein gewaltiges Aufklatschen im See. Ein riesiger Fels hatte sich aus der Wand gelöst. Nach dieser letzten Zerreißprobe unserer überdrehten Nerven glitten wir endlich in die erlösende Umarmung des Schlafes. Der Morgen dämmerte herauf und mit Schatten um den Augen krochen wir aus dem Zelt. Der Senner kam und sah nach dem Rechten, erleichtert, seine Kühe und die beiden "Stadterer" lebend anzutreffen. Das Abenteuer war überstanden. Und die Kerze, eine schöne große mit bayerischem Wappen, haben wir gestiftet im Dom zu Grado in Italien.

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