Von Fritz Diermeier
Am 31.5.82 beginnt ein großes Abenteuer für mich. Von Frankfurt bringt mich eine Iljuschin 62
über Shannon in Irland und Havanna auf Cuba nach Lima. Nach ca. 16 Std. Flug bin ich in Peru,
allein. Noch am gleichen Abend geht's mit dem Bus nach Huaraz in die Cordillera Blanca, wo
ich um 5 Uhr morgens ankomme. Endlich kann ich in einer einfachen Pension ausschlafen. Doch
schon sehr früh am nächsten Tag bringt mich der Bus weiter das Santatal abwärts nach Mancos.
Jetzt erst merke ich so richtig, daß ich allein unterwegs bin. Es fehlt mir etwas das
Aufmuntern vor so einer Tour. Ich muß mir erst wieder klar machen, daß ich es so haben wollte.
Mit meinem 40 Kilo schweren Rucksack komme ich anfangs ganz schön ins Schwitzen. 2 1/2 Std.
dauert der Anstieg nach Musho. Unterwegs fragen immer wieder Kinder nach "Caramelos". Mein
Vorrat davon ist ausreichend, so daß jeder etwas bekommt. In einem Büro des Andenclubs in
Musho erfrage ich den Weiterweg. Doch entweder habe ich die Angaben nicht richtig verstanden,
oder wir haben verschiedene Berge gemeint. Auf alle Fälle habe ich einige Zeit danach den
Eindruck falsch zu gehen. Nachdem niemand sonst unterwegs ist kehre ich um. Auf halbem Weg
zurück begegnet mir ein junger Peruaner, den ich versuche zu fragen. Es kommt mir ganz
gelegen, als er anbietet mich auf dem richtigen Anstieg ein Stück zu begleiten und einen
Teil des Gepäcks mitzutragen. 3 Stunden steigen wir zusammen auf, dann geht Theodore
Gonzales wieder hinunter. Nachdem er den vereinbarten Führerpreis erhalten hat lädt er
mich noch ein, nach Ende der Tour bei ihm vorbeizukommen um zu feiern. Ich gehe noch ein
Stück weiter und verdrücke mich dann durch ein Dickicht abseits der Route. Da ich auch
schon vom "Sentiero Luminoso" gehört habe möchte ich hier unten nicht zu offen lagern.
Dabei finde ich einen malerischen Platz am Fuß eines Wasserfalls. Die Stelle liegt auf
etwa 3900m. Der Ausgangsort Mancos war 2500m hoch. Ich bin total erledigt und baue nur
noch das Zelt auf. Aus ein paar Minuten Hinsetzen ins Gras werden einige Stunden Tiefschlaf.
Wieder wach nütze ich den vorbeifließenden Bach und trinke was reinpaßt. Die folgende sehr
ruhige Nacht bringt meine Kondition wieder zurück. Gut gefrühstückt bin ich schon sehr früh
wieder unterwegs, vorbei am eigentlichen gekennzeichneten Basislager. über eine Moräne
geht's aufwärts und am Vormittag erreiche ich die Stelle für mein Basislager, sie liegt
auf ca. 4600m. Kurz danach kommen mehrere Bergsteiger herunter, österreicher und
Italiener. Sie geben mir einige Tips und lassen ihre übrigen Gaskartuschen da. Am
Nachmittag beginne ich, um mich zu akklimatisieren, bis zur Eisgrenze auf ca. 4750m

aufzusteigen. Dort treffe ich 3 Jugoslawen, die gerade absteigen, um Proviant zu holen.
Sie wollen am nächsten Tag wieder aufsteigen. Wir beschließen, anschließend zusammen nach
Musho und weiter zu gehen. Abends kommen noch 2 Amerikaner und biwakieren in der Nähe.
Ein riesiger Vollmond steht über dem Gletscher direkt vor meinem Zelteingang. Leider
verdirbt mir ein aufkommender Durchfall die erste Nachthälfte. Am nächsten Morgen
unternehme ich nochmals meinen Gewöhnungsanstieg. Als ich um 13.00 Uhr zurückkomme,
sind die jugoslawischen Freunde sowie 2 Italiener beim Camp. Ihr neuer Proviant
besteht aus Bananen und Thunfisch. Da ich genügend Platz habe, schlafen wir zu viert
in meinem Zelt, diesmal problemlos. Am nächsten Morgen marschieren wir zu viert los,
hinauf zum Eisfeld und dann höher bis zum jugoslawischen Lager, wo noch weitere 3
Freunde warten. Ich werde gleich mitverpflegt. Bei Mundharmonikamusik gründen wir
eine jugoslawisch-italienisch-deutsche Mannschaft. In der nächsten Nacht habe ich
2 Gäste, da die Jugoslawen ihr Zelt bereits höher getragen haben. Wieder habe ich
Durchfall, aber trotzdem verläuft alles problemlos. Am folgenden Morgen ist
allgemeiner Aufbruch. Wir kommen nur langsam voran, da sich einmal eine zunehmende
Müdigkeit bei uns einstellt und zum anderen das Gelände spaltenreicher wird und wir
mehr Sicherungsarbeit leisten müssen. Dann kommt die große Rundkluft. An der engsten
Stelle etwa 1 1/2m breit, baut sich gegenüber ein etwa 3m hoher Eisüberhang auf.
Jetzt stellt sich heraus, daß einer der beiden Italiener ein Bergführer ist. Dem
Können dieses Bergführers ist es letztlich zu verdanken, daß wir überhaupt an dieser
Stelle hochkommen. Ich hätte mir wohl einen ganz anderen Weg suchen müssen. Es kostet
uns natürlich viel Zeit mit dem ganzen Gepäck diese Stelle zu überwinden. Doch gegen
Abend sind wir etwa 5400m hoch und bauen zwischen verstreuten Eisbrocken unser Lager
auf. Die beiden Amerikaner sind auch hier und haben bereits ihre Biwakplätze angelegt.
Es folgt eine unruhige Nacht, die vielen Eisbrocken, der Durchfall, die Höhe. Viel zu
spät, schon bei praller Sonne, ziehen wir am nächsten Tag los. Entlang einer
abbruchbereiten Eisflanke steigen wir hoch. Wir sind auf dem Weg zur Garganta, dem
Hals zwischen Süd- und Nordkappe des Huascaran. Doch am Eingang der Garganta stoppt
uns ein sehr zerklüfteter Serak. Gemeinsam beurteilen wir unsere Möglichkeiten hier
durchzukommen. Der Weg führt über messerscharfe Firngrate, die teilweise unterhöhlt
und etwa 1 bis 2m dick sind. Wir bauen unterhalb des Eingangs unser Camp auf. Am
Spätnachmittag kommen auch die beiden Italiener nach. Nach einer sehr schlechten
Nacht ist unser Problemchen immer noch da und es führt dazu, daß der Bergführer zwar
ein Fixseil anbringt, aber sich dann entschließt, mit seinem ziemlich angeschlagenen
Gast umzukehren. Die Hälfte der jugosl. Gruppe schließt sich ihm an. Nach ein paar
Adrenalinschüben kommen wir restlichen Vier dann durch diese "Angststelle". Dann die
langersehnte Garganta. Problemlos geht's jetzt aufwärts. Genau in der Mitte des
Sattels zwischen Nord- und Südkuppe bauen wir mein Zelt auf. Den ganzen Nachmittag
verbringen wir mit Essen, Trinken und Erholen. Die Rucksäcke werden auf ein
Mindestgewicht verkleinert. Bis hierher auf 6010m habe ich mein komplettes Gepäck
geschleppt. Bereits um 17.00 Uhr liegen wir in den Schlafsäcken. Um 3.45 Uhr wollte
Marian, der Leiter der jugoslawischen Gruppe bereits aufstehen, doch bis 5.45 Uhr
können wir dies noch verhindern. Doch dann, um 6.30 Uhr, gehen wir in 2 Zweiergruppen
los in Richtung Südgipfel. Arglos steigen wir eine Zone von 300m bei etwa 45° auf.
Die Spalten werden übergangen. Ich bin in bester Verfassung und meistens voraus. Weiter
oben kommen Spalten, die mehr als eine Seillänge tief sind und von hauchdünnen
Schneebrücken auf einer Breite von 3-5m überspannt werden. Dies veranlaßt uns doch,
uns anzuseilen. Ohne Luftprobleme kommen Marian und ich höher. Bereits um 11.15 Uhr
erreichen wir einen ausgeprägten Eiszapfen, den Marian schon zum Gipfel erklären will,
doch mein Höhenmesser sagt, daß ein 30m höhergelegenes ausgedehntes Plateau den
wirklichen Gipfel bildet. Keiner ist hier in Peru höher: 6768m ! Wir versuchen die
umliegenden Gipfel zu erkennen, wie z.B. den Huandoy oder, weiter weg, den Alpamayo.
Nach einer halben Stunde, machen wir beide uns angeseilt an den Abstieg. Ein paar
hundert Meter tiefer begegnen uns die anderen. Wir sind sehr überrascht, als wir
jetzt den gleichen Weg absteigen, über welche Spalten und steile Flanken wir am
Morgen "hoch gelaufen" sind. Um 15:00 Uhr sind wir wohlbehalten am Zelt zurück.
Die beiden anderen kommen um 17.30 Uhr. Der ganze Abend ist mit Trinken und Erzählen
ausgefüllt. Nach einer engen, aber zufriedenen Nacht gehen wir den Abstieg an. Wir
sichern durch die "Angststelle". Dahinter hatten die Anderen ein Zelt stehen lassen,
das wir mitnehmen. über eine kürzlich abgegangene Eislawine geht's abwärts. An der
anderen Kletterstelle steckt ein Pickel und hilft uns sehr gut weiter uns abzuseilen.
Auf etwa 5000m ist eine weitere Proviantstelle, sowie der Medizinkoffer der Gruppe
"sicher" deponiert. Denn gleich daneben hat eine Eislawine eine autobahnbreite Spur
hinterlassen. Nach sehr unsicherem Gehen über brüchige Eisbrücken, betreten wir
endlich die Felszone. Wir kommen noch bis zu meinem Basislager, dann ist Schluß für
heute. Bei einem herrlichen Sternenhimmel schlafen wir sehr gut auf 2 Zelte verteilt.
Der weitere Abstieg am nächsten Tag artet in Arbeit aus. Die Rucksäcke sind derart
überladen, daß einzelne Riemen abreißen. Kurz unterhalb des offiziellen Basiscamps
kommt uns eine Gruppe peruanischer Studenten entgegen. Ihr Gepäck wird von drei
Mulis hochgetragen. Damit ist jedoch auch unser Gepäckproblem gelöst. Für 10$
müssen wir nur noch uns selbst hinunterbewegen, doch auch das wird lang. Dann am
Nachmittag erreichen wir Musho. Beim Wirt Abraham treffen wir die Anderen. Bei
lautstarker Unterhaltung dezimieren wir den Cerveca - Vorrat und den Inhalt des
Hühnerstalls. Jeder ißt Hühnersuppe und anschließend Huhn mit Ei. Das
Abschlußerlebnis bildet noch eine sehr kalte nächtliche Fahrt auf der Ladefläche
eines Kleinladers nach Huaraz. Dann wollen wir nur noch schlafen. Wieder sehr früh am
Morgen geht die Busfahrt los, die uns zunächst auf 4000m hinauf und dann zur
Pazifikküste hinabbringt. Endlose Serpentinen führen hinab in die Wüste und
dann nach Lima. Ein Abenteuer ist glücklich überstanden.