Von Hans Pöperny
Vor einigen Jahren kamen Fritz Diermeier und ich über den Hochfeiler als mögliche
Tour zu sprechen, und wie das oft so ist sagt man ohne groß nachzudenken: "Auf den
Hochfeiler geh ich nur über die Nordwand hinauf". Mit 3510 m ist der Hochfeiler der
höchste Berg in den Zillertaler Alpen, seine Nordwand zählt zu den steilsten Eiswänden

der Ostalpen, Wandhöhe 350 m, 55° steil. Sie ist unter den Eiswänden in den Ostalpen
die Herausforderung für jeden Eistourengeher. Ein paar Jahre später, im August 89 war
es dann soweit, zusammen standen wir am Fuße der Hochfeiler Nordwand. Vorangegangen
waren wieder einmal zwei fast schlaflose Nächte auf dem Furtschaglhaus und ein um 2 Uhr
hinunter gewürgtes Frühstück, dies waren wieder einmal die ersten Eindrücke dieser
Tour. Um an den Wandfuß zu gelangen muß man über den wildzerklüfteten und mit
zahlreichen Spalten versehenen Schlegeiskees aufsteigen, 4 Stunden benötigten wir
für diesen Anstieg. Der Steinschlag der uns dann bei unserer Ankunft am Wandfuß
begrüßte ließ erste Zweifel aufkommen, aber mit dem altbewährten Spruch : "Jetzt
sind wir schon einmal da, wer weiß wann wir wieder einmal herkommen " begannen wir
mit dem Aufstieg. Nach einigen Seillängen mußten wir einen Eisbach der die Wand
hinab schoß queren, die nun erfolgte aber eigentlich gar nicht nötige Abkühlung und
die nasse Kleidung trugen nicht gerade zur Stärkung der Moral bei. Durch die
zunehmende Tageswärme nahm auch der Steinschlag zu, in regelmäßigen Abständen
schossen Steine jeder Größe in bedrohlicher Nähe an uns vorbei. Bei jedem Geräusch
das sich nach Steinschlag anhörte versuchten wir uns möglichst flach an die Wand
zu drücken, oder wenn es die Lage erlaubte hielten wir den Rucksack über den Kopf.
Insgeheim haben wir wohl beide zu diesem Zeitpunkt unseren Entschluß diese Tour zu
machen bereut. Die Nordwand des Hochfeiler ist mit tiefen nach unten gerichteten
Eisrillen durchzogen, das Hochsteigen in diesen Rillen gab einem das Gefühl in ein
geladenes Kanonenrohr zu kriechen, ohne zu wissen wann die nächste Salve mit Steinen
wieder los geht. Gegen Wandmitte wurde die Wand immer steiler und immer mehr hartes

Blankeis kam zum Vorschein, nach 3-4 Stunden meldeten sich auch langsam die Wadenmuskel
zu Wort und die Zehenspitzen wurden langsam taub von dem Hineinschlagen der Steigeisen.
Ein Abstecher in das angrenzende Felsband erwies sich auch als nicht sehr günstig,
nach einigen Metern in sehr brüchigen Fels kehrten wir wieder ins Eis zurück. Im
letzten Wanddrittel lies dann der Steinschlag nach und jeder gewonnene Höhenmeter
stärkte dann doch wieder das Selbstbewußtsein. Die Gewitterwolken die sich in der
Zwischenzeit am Himmel zusammen brauten nahmen wir noch gar nicht wahr. Nach 5 Stunden
war es dann soweit, mit von der Anstrengung leicht verkrampften Waden und zittrigen
Armen überschritt der Seilerste die Gipfelwächte und von da waren es dann nur noch
einige Meter bis zum Gipfel. Nach dem die Anspannung langsam nachließ und der erste
Schluck Tee getrunken war bemerkten wir auch das bereits drohende Gewitter über uns,
über den leichten SW-Grat ging es nun im strömenden Regen und unter dem sich
entladenen Gewitter zur Hochfeilerhütte. Völlig durchnäßt erreichten wir nach ca.
2 Std. um 18 Uhr die Hütte auf Südtiroler Seite. Das einzige trockene Kleidungsstück
das wir nach dieser Tour noch hatten war eine kurze Turnhose. Selbst die Ausweise
und Geldscheine waren nur noch nasse Lappen, aber der Hüttenwirt erkannte diese
zerzausten Scheine doch noch als gültige Währung an und versorgte uns mit genügend
Spaghetti und Rotwein.
Ein Jahr später, Walliser Alpen, wieder standen wir zusammen
am Fuß einer Eiswand, diesmal war es die Nordostwand der Lenzspitze, Wandhöhe 500m
und zwischen 50° und 55° steil. Nur wenige Eisflanken der Alpen können mit der
Ausstrahlung dieser Eiswand konkurrieren. Wer einmal dieses Schild aus glänzendem
Eis aus der Nähe gesehen hat wird dieser Verlockung nicht widerstehen können.

Die ein Jahr zuvor gelungene Durchsteigung der Hochfeiler Nordwand und die als
Eingehtour zwei Tage vorher durchgeführte Besteigung des 4545m hohen Doms ließ
uns diesmal mit dem nötigen Selbstvertrauen die Tour beginnen. Es ist schon ein
eigenartiges und zugleich berauschendes Gefühl wenn man auf Standplätzen steht die
gerade Platz für einen Schuh bieten und dann wieder nur auf den Frontzacken der
Steigeisen emporsteigt und die Armkraft nur zur Balance verwendet wird.
Die optimalen Eisverhältnisse im unteren Wanddrittel und das relativ gute Wetter
sorgten dafür das wir zügig vorankamen. Doch die 500 Höhenmeter wollen erst einmal
geklettert werden, die Länge der Wand und die nun überschrittene 4000 Meter Grenze
sorgten wieder dafür das wir nicht übermütig wurden. Wurden wir in der Hochfeiler
Nordwand mit Steinsalven regelrecht bombadiert so war es in dieser Wand relativ
ruhig und friedlich. Ein Blick in die Tiefe, bis zum Bergschrund waren es jetzt
schon ca. 300 bis 400 Meter, ließ einem unwillkürlich die Steigeisen und Eisbeile
etwas fester ins Eis schlagen. Im oberen Teil der Eiswand herrschte dann wieder
hartes Blankeis, die Eisgeräte ließen sich nur noch mit den äußersten Spitzen,
das heißt nur ein höchstens zwei Zentimeter, ins Eis setzen, so wurde aus dieser
Tour auch wieder ein Spitzentanz auf dem Eis. Nach 5 Stunden erreichten wir dann
den 4294m hohen Gipfel der Lenzspitze. Nun im Glauben den schwierigsten und
längsten Teil der Tour überstanden zu haben, machten wir uns an den "Abstieg"
über den Nadelgrat zum Nadelhorn, doch mit 4327m ist das Nadelhorn noch etwas
höher als die Lenzspitze und so wurde aus dem vermeintlichen Abstieg erst einmal
wieder ein Aufstieg. Turm um Turm mußte auf dem mit dem Schwierigkeitsgrat III

angegebenen Grat überklettert werden, und immer wenn wir dachten hinter dem
nächsten Aufschwung liegt nun der ersehnte Endpunkt des Grates folgte eine neue
Erhebung. Der Gipfel des Nadelhorns wollte einfach nicht näher kommen. Gegen
Nachmittag zogen dann auch wieder die ersten Gewitterwolken auf, etwas beunruhigt
beobachteten wir die Wolkenansammlung am Himmel, Gewitter können im Hochsommer
diese Grate in eine wahre Hölle verwandeln. Nach 3 Stunden um ca. 16 Uhr erreichten
wir dann endlich den höchsten Punkt des Nadelgrates, das 4327m hohe Nadelhorn.
Nun konnte erstmals aufgeatmet werden, das Wetter besserte sich auch wieder, und
über den Normalweg des Nadelhorns ging es dann in 1,5 Stunden zur Mischabellhütte
zurück. Eine Tourenwoche im Wallis mit der Besteigung von drei Viertausendern,
Dom 4545m, Lenzspitze 4294m Nordostwand und Nadelhorn 4327m wurde damit
erfolgreich abgeschlossen.